Sint Maarten / Saint Martin (23.01.2015 – 28.01.2015)

Legal, Illegal, Scheißegal
-Slime

Wir sind ohne Ausreisepapiere nun illegal in der Karibik unterwegs. St. Martin bietet ein Schlupfloch, um uns zu legalisieren. Außerdem ist die Insel für uns ein Arbeitsstopp. Die Infrastruktur mit nautischen Werkstätten und Ausrüstungshandel ist gigantisch. Und wie Mina sagte: „Noch nie sind wir mit dem Dinghi von einem Land in ein anderes gefahren“. Die Lagune zwischen Frankreich und den Niederlanden ist ein Paradies für Gummiboot-Rennen…

Düsterer Himmel: Die Illegalen nähern sich St. Martin.

Düsterer Himmel: Die Illegalen nähern sich St. Martin.

Den Ärger von Sint Eustasius haben wir innerhalb der tankerbewährten Dreimeilenzone der Niederlande gelassen. Aber wir sind noch stolze Illegale. Auch deshalb haben wir uns entschlossen, nicht wie geplant nach Saba (wieder niederländisches Gebiet mit potenziell vernetzten Systemen… OK, das wohl eher nicht) sondern stattdessen einfach etwas früher gen Nordwesten zum französischen Teil der Insel St. Martin zu segeln. Hier kann man üblicherweise per Selbstbedienung einklarieren. Dazu locken uns Eclairs, Croissants und die französische Küche mehr als Frikandel und Fritten. Wir werfen also in der Anse Marigot den Anker.

Marigot Bay: So wie wir uns die Karibik vorstellen. Nur etwas eng hier.

Marigot Bay: So wie wir uns die Karibik vorstellen. Nur etwas eng hier.

Nach dem Ankerbierchen mache ich mich auf zum Einklarieren. Das Büro liegt nach bei der Marina Port Louis und scheint sich auch um die Ausflugsboote zu kümmern. Mich erwartet eine Überraschung: An einem der Selbstbedienungsterminals sitzt ein „schwarzer Sheriff“ (nein das bezieht sich nicht auf seine Hautfarbe sondern seinen Beruf „Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes“). Ich stutze kurz und will mich an das zweite setzen. „No, ce pas possible! Votre papiers“. Ich habe Pässe, Bootspapiere, Versicherung. Aber keine Ausklarierungsbescheinigung des letzten Hafens. Ich mache (so hoffe ich) ein entschlossenes Gesicht und reiche ihm erstmal die Pässe.

Über ihm hängt ein aus seinem Tintenstrahldrucker kommendes DIN A4 Poster: If you fail to produce the complete set of documents, you will be sent to the French Coast Guard in Martinique for further clearance. Das wäre allerdings ein unerwünschter Umweg. Schließlich liegt Martinique etwa 180 Seemeilen südlich. So richtig Lust auf „further clearence“ hatte ich auch nicht. Wollte ich mein auf St. Eustasius gestärktes Rückgrat doch nicht gleich wieder von französischen Küstenwächtern weichgeklopft bekommen. Zwei Jahre Einzelhaft auf St. Eustasius? Egal, ich muss da jetzt durch.

Der Sheriff prüft die Unterlagen und tut er schön gemächlich und vor allem sehr, sehr gründlich. Er macht das, was wir sonst in den Häfen selbst gemacht haben: Crewdaten und Bootsdaten eintragen. Man wird ja nicht für nichts bezahlt. Und die Uniform kommt ja auch mit Pflichten. Natürlich will er unsere Ausklarierung aus St. Eustasius. Natürlich haben wir die nicht. Wir haben allerdings so viele andere Papiere von all den anderen Inseln in der Mappe mit den Pässen. Also gebe ich ihm erstmal die Schiffspapiere, um ein Wenig Zeit zu gewinnen (er muss ja erstmal im Zweifingersystem die Bootsdaten eingeben.

Ich wühle derweil in der Mappe herum und lese geistesabwesend die Papiere anderer Inseln vor. Meine Instantstrategie: Er soll auf jeden Fall denken, dass wir immer korrekt ausklariert haben. Einige der Papiere segeln versehentlich auf sein Keyboard. Vor allem die französischen. Ich sage, dass ich dieses eine kleine Zettelchen wohl an Bord vergessen hatte. Er sieht mich schweigend an.

Ich hatte „Stare-Down-Contests“ zwar vor Jahren als Jugendlicher in amerikanischen Einkaufszentren geübt. Sogenannte „Mall-Cops“ sind die härtesten Gegner in dieser Sportart. Das ist lange her, ich war zarte sechzehn. Aber es scheint wie Fahrradfahren: Man verlernt es nicht so ganz. Und ich lächle dabei so freundlich. Er zwinkert zuerst. Und: Er nimmt mir den gesetzesfürchtigen Deutschen ab. Sagt mit ernster Miene: „Vous pouvez montrer a votre sortie“. Also beim Ausklarieren aus St. Martin vorlegen. Klar, mache ich! Natürlich. Sicherlich.
Schnell raus. Ich habe seinen Stempel schon. Erleichterung.

Und nun rein ins Zubehör-Vergnügen. Das Beste daran: Die richtig guten Läden sind alle auf der holländischen Seite der Lagune, die im Insel-Inneren liegt. quadratkilometergroße Wasserflächen ohne Wellen. Von unserem Ankerplatz bis zu den großen Ausstattern sind es fast drei Seemeilen. Endlich lohnt sich der 20 PS Motor am Dinghi. Die Strecken fahren wir etwas häufiger und Mina ist immer vorn dabei. Vor allem, weil wir in der Lagune bei 32°C die Grenze zwischen Frankreich und Holland mit 20 Knoten überqueren.

Die weiteren Tage in St. Martin vergehen daher schnell mit Reparaturen und Einkäufen. So haben wir nun würdigen Ersatz für unseren Dinghi-Propeller, der in einer Ti-Punch-seeligen Nacht kaltverformt wurde.

Auch ein paar neue Köder haben wir gekauft (seit dem Wahoo scheint mein durch Heide aufgelegter Budget-Stopp für Angelausrüstung etwas gelockert), Tanks mit 100 Litern Kapazität für den Pazifik und Kleinigkeiten, die zu Bruch gingen.

Für Mina gab es noch ein Buch. Und das wertvollste Logbuch der Welt. Denn zwischen all den Kinderbüchern stand ein in Leder gebundenes „Tagebuch“. Offenbar ohne Preisauszeichnung. Also ab in den Wagen damit. „Das bezahle ich von meinem Taschengeld“, sagt Mina. Die Rechnung kam mir an der Kasse schon recht hoch vor, aber wir haben eine Menge anderer Sachen gekauft und vielleicht passt das schon. Dachte ich mir. Mit Karte zahlen macht ja manchmal auch ein wenig unvorsichtig.

Als wir dann am Boot doch noch mal den Bon durchgehen, um Minas Beitrag herauszufinden, steht neben dem Tagebuch: 199,00 Euro.
Ich werde bleich,
Heide wird bleich und
Mina guckt unschuldig.

Ok, Totalversagen aller Kontrollmechanismen in der familiären Beschaffung. Als ich das Buch am nächsten Morgen umtauschen will, sagt mir die nette Dame: „I am so sorry, we do not allow to return books or maps“. Ich versuche es mit Zuckerbrot, ich versuche es mit Peitsche. Kein Durchkommen. Hinter mir sammeln sich schon ein paar der Sicherheitsleute. OK, ich ziehe ab und merke mir, dass ich bei „Island Waterworld“ nie mehr einkaufen werde.

Alle weiteren Erlebnisse finden im sehr, sehr guten Budget Marine statt, die anderen in französischen Supermärkten. Hier kaufen wir nochmal die letzten „französischen Sauereien“ ein, die wir in den nächsten Monaten wohl nicht mehr finden werden: Käse, Patée, Wein werden in gigantischen Mengen gebunkert.

Und die Papiere? Wir gehen einfach zum anderen Hafen in St. Martin. Leise an den Rechner gesetzt, die Pflichtfelder ausgefüllt, ausdrucken, bei der netten Dame stempeln lassen und schnell, schnell den Anker gelichtet.

Wir sind legalisiert.
Vive la France!

Bücher: Marine Equipment Catalog 2015, Budget Marine
Musik: Edith Piaf

PS: Ab heute keine Grenzgeschichten mehr. Versprochen!

8 Gedanken zu „Sint Maarten / Saint Martin (23.01.2015 – 28.01.2015)

  1. achim

    Liebe Eltern,
    grämt Euch nicht so über den Preis eines „in echtes Leder“ gebundenes Tagebuchs. Überlegt einfach wie viel Kohle sich mit der Veröffentlichung und Verfilmung selbigen machen lässt. Ihr müsst nur im Vorfeld darauf achten, dass Island Waterworld keine Ansprüche stellen kann.
    Dass Ihr jetzt wieder als Legale unterwegs seit, ist schon besser, dann braucht Ihr nicht am Ende Euer Boot vor Lampedusa versenken.
    PS: Wenn ich Eure letzten Berichte noch mal so Revue passieren lasse, wird mir immer klarer, warum ich so ungern nach Holland fahre.

    Grüße aus dem sonnenverwöhnten Pott

    1. AlytesSkipper Beitragsautor

      Ach ich bin schon ein großer Fan von Holland und den Niederländern. Aber hier auf Sint Eustasius läuft es aus unserer Sicht nicht so gut. Man kann das natürlich auch anders sehen: Vermutlich muss die Insel nicht aus dem niederländischen Haushalt unterstützt werden. Es gibt praktisch keine Arbeitslosigkeit und wenig wirkliche Kriminalität auf dem Eiland. Die meisten Politiker und Bürger würden das – ohne den Zusammenhang – nicht ganz zu unrecht als großen Erfolg wahrnehmen. Das geht im Bericht etwas unter, muss man wohl sagen.

      Diese kleinen Paradoxa sind am Ende das Salz in der Reisesuppe, denke ich.

      Ganz herzliche Grüße aus Kolumbien. Die Sonne ist gerade untergegangen und der Wind fegt mit bis zu 50 Knoten über uns hinweg. Himmlisch 😉
      Fritze

  2. Robinho

    Moin Skipper!
    Lese immer wieder gerne mit Begeisterung Euren Blog und wollte es mir heute – praktisch zur Feier des Tages – als Dein alter „Geburtstagspate“ nicht nehmen lassen, Dir kurz zu gratulieren.

    Jetzt warte ich gespannt auf Deine Piratenparty mit Schatzsuche – wobei ich vermute, dass Du den Teil einfach ausfallen lässt und direkt zu dem „Erwachsenenprogramm“ übergehst… ;o)

    Euch allen und heute vor allem natürlich Dir, lieber Fritze, jedenfalls die allerliebsten Wünsche aus der kalten und verregneten Heimat. Bleib(t) gesund und geniesst weiter Eure tolle Zeit.

    Viele viele liebe Grüsse und einen ganz „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“
    Robinho

    PS: Wusstet ihr, dass Stefan Wendl auf der Anne, mit denen ihr zusammen über den Atlantik seid, ein ganz lieber alter PwC-Kollege von mir ist? Wir haben damals gemeinsam dort angefangen und ich hab‘ nicht schlecht gestaunt, als ich ihn unter den aufgelisteten Crews gesehen habe.
    Also: Immer gut benehmen – die Welt ist klitzeklein! ;o)

    1. AlytesSkipper Beitragsautor

      Hallo Robinho,
      was für eine Freude, von Dir zu hören! Ich hoffe, es geht Dir sehr gut. Die Story mit Stefan ist natürlich – mal wieder – großartig. Und wäre unterm Radar geblieben. Denn er sprach von Seiner Vergangenheit bei PWC (nun ist er bei IBM). Aber bevor es zum Namedropping kam, waren wir schon beim nautischen angelangt (und das mit den unendlichen Gin Tonics, die es auf Lanzarote gab).

      Der Geburtstag ist im Wortsinne ins Wasser gefallen. Es gabe den ganzen Tag tropischen Regen und so haben wir mit einem brasilianischen Weltumsegler vom Boot nebenan ein wenig „gefeiert“. Alles mucho civilo.

      Holen wir in Kolumbien nach 😉

      Herzliche Grüße auch an die Crew,
      Fritze

  3. Thorsten von Berswordt-W.

    „dum dieldeldum, ie wünsch dir noch ne buddel rum“
    wir hier in NL (und damit meine ich nicht den Karibischen Teil des Königreiches) heben jedenfalls das Glas zu den 43 Lenzen des AlytesSkipper!

    Mast und Schotbruch und die besten Wünsche auf Eurem Weg zu neuen Ufern!

    1. AlytesSkipper Beitragsautor

      Hallo lieber Thorsten,
      herzlichen Dank für die Wünsche und die gehobenen Gläser. Hier war es so regnerisch, dass man nur aus Flaschen trinken konnte (die Getränge wären sonst zu sehr verdünnt worden).

      Ich hoffe, es geht Euch gut?
      Wann kommt Ihr denn mal an Bord?
      Herzliche Grüße an Fem, Sophie, Lucas und Iggi,
      Fritze, Heide und Mina

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